Der Name «Bern» ist entweder keltischen Ursprungs oder eine Anspielung auf eine germanische Heldengestalt. Der Bär taucht bereits auf dem ersten Berner Stadtsiegel 1224 auf. Er erfüllt seine Rolle als Wappentier und vermeintlicher Namensgeber der Stadt bis heute. Über den Ursprung des Namens «Bern» ist jedoch eine Kontroverse im Gang.
Anklänge an den Gründungsmythos der Stadt Bern gibt es bis heute. In der offiziellen «Bern Show» von Bern Tourismus wird die Aarehalbinsel vor der Stadtgründung als eine Art «Urwald» präsentiert. Neueste Bodenproben aus dem Bereich des Waisenhausplatzes deuten jedoch darauf hin, dass auf der Aarehalbinsel kaum jener «Eichenwald» stand, in welchem Herzog Berchtold V. von Zähringen 1191 seine Getreuen zur Stadtgründung versammelt haben soll, wie es der Stadtchronist Konrad Justinger 1420 beschrieb.
Erst im 19. und 20. Jahrhundert wurde die von Justinger tradierte Gründungssage der Zähringer ernsthaft angezweifelt. Die Sage ist jedem Berner Schulkind geläufig: Der Herzog beschloss, eine letzte Jagd in dem zu rodenden Eichenwald zu veranstalten und die neue Stadt nach dem ersten Tier zu benennen, das gefangen werden sollte. «Nu wart des ersten ein ber gevangen, darumb wart die stat bern genempt», hielt Justinger fest.
Ein Täfelchen schreibt Geschichte
Der Archäologe Armand Baeriswyl bezeichnet die Geschichte von der Jagd als «gelehrsame Erfindung des späten Mittelalters». Seine Berufskollegin Geneviève Lüscher griff einige Jahrhunderte früher in die Geschichte zurück und wies auf die «keltische Verehrung» für heilige Tiere hin, wie sie etwa in der antiken Bronzestatuette der Bärengöttin von Muri zum Ausdruck komme. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Bärengöttin von Muri und dem Namen der Stadt Bern wird heute aber ausgeschlossen. «Ob allerdings zwischen dem Bärenkult und der Darstellung des Tieres im Berner Wappen nicht doch eine Verbindung bestehen könnte, ist eine nicht abschliessend diskutierte Frage», hielt Lüscher im «Bund» fest.
Der mögliche keltische Ursprung des Namens Bern ist erst seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts ein Thema. Ein mittlerweile verstorbener Hobbyarchäologe aus Thun fand 1984 bei einer gesetzeswidrigen Suchaktion im Thormannbodenwald auf der Engehalbinsel eine Zinktafel mit einer rätselhaften Aufschrift. Das Täfelchen verschwand schliesslich im Fundus des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern und wurde erst 1991 eingehend analysiert. Es handelt sich um ein Weihetäfelchen aus der Zeit um Christi Geburt. Die vierzeilige Inschrift in griechischen Buchstaben wird als Huldigung des Schmiedegottes «Gobanos» durch die Bewohner einer keltischen Siedlung namens «Brenodor» gedeutet. Baeriswyl negiert zwar eine direkte Ableitung des Namens «Bern» aus «Brenodor». Er vermutet aber, dass der keltische Ausdruck «brena» (für Wald, Gebüsch) sowohl in die Namen «Brenodor» und «Bremgarten» als auch in den Namen «Bern» eingeflossen sein könnte. Lüscher wiederum stellt die Hypothese auf, dass die Bewohner von «Brenodor» die Engehalbinsel im vierten Jahrhundert verlassen hätten, um auf dem heutigen Stadtboden eine Siedlung gleichen oder ähnlichen Namens zu gründen, deren Namen sich im Laufe der Zeit zu «Bern» gewandelt habe.
Eine Lücke von 700 Jahren
Die Ableitung des Namens «Bern» aus der keltischen Bezeichnung «Brenodor» sei «heikel», sagt Thomas Franz Schneider, Ko-Leiter der Forschungsstelle für Namenkunde an der Universität Bern. Das Altkeltische als Schriftsprache sei schwierig fassbar, da man in Europa bloss 350 Inschriften aufgefunden habe. Zudem sei das Keltische im fünften Jahrhundert ausgestorben, und auf dem Gebiet der heutigen Berner Altstadt gebe es keine archäologischen Funde aus dem frühen Mittelalter. Die bisweilen behauptete Existenz einer Burg Nydegg vor der Mitte des 12. Jahrhunderts sei nicht erwiesen. «Bis zur Stadtgründung von Bern Ende des 12. Jahrhunderts gibt es demnach eine Lücke von 700 Jahren», sagt Schneider. Der Sprachforscher und sein Team sind gegenwärtig an der Arbeit zum vierten Teilband des Ortsnamenbuches des Kantons Bern. Letzterer soll auch Auskunft über die Herkunft des Namens «Bern» geben. Dabei werde es um eine Analyse des Wortfeldes «Bren-» gehen, wobei der Blick «über den Bärengraben und Bremgarten hinaus» erweitert werden soll, sagt Schneider. Ein keltischer Ursprung hiesiger Ortsnamen ist laut dem Namenforscher nicht unüblich. So bedeute «Solothurn» zum Beispiel «Enge am Wasser», wobei die römische Endsilbe «-durum» auf keltisch «-duron» zurückgehe und «Enge» bedeute. Die «keltische These» steht aber in Konkurrenz zur simplen Nachbenennung, einer Namensgebung mit einem bereits anderswo bestehenden Siedlungsnamen.
Eine «Ansippung» der Zähringer?
Der Germanist Michael Bärmann hält es für erwiesen, dass Herzog Berchtold V. von Zähringen der neu gegründeten Stadt den «geradezu volkstümlich gewordenen Beinamen» des germanischen Sagenhelden Dietrich von Bern verlieh. Dietrich von Bern ist dem Ostgotenkönig Theoderich dem Grossen (493–526) nachempfunden, der sein Reich von Verona aus regiert haben soll. Verona wird in alten deutschen Schriften als «Welsch-Bern» bezeichnet. Laut Bärmann traten die Vorfahren des Stadtgründers Berchtold V. gelegentlich als «Markgrafen von Verona» auf. Es könne sich bei der Stadtbenennung aber auch um eine Art «Ansippung» an das Geschlecht des Gotenkönigs handeln, hält Bärmann fest. «Nachbenennungen sind recht häufig», erklärt Thomas Franz Schneider. Für den «Bern-Artikel» im Ortsnamenbuch gelte es, die beiden Thesen gegeneinander abzuwägen. Schneider macht aber keinen Hehl aus seiner Ansicht, dass er die «keltische Spur» als spannender empfindet. Ob sie auch schöner als der Gründungsmythos der Zähringer ist, lässt er offen. Zum Gründungsmythos der Zähringer meint der Wissenschaftler: «Die neu gegründete Stadt brauchte ein Wappentier und eine Gründungsgeschichte, um das Märchenbedürfnis der Menschen zu befriedigen.»
Der Gründungsmythos passe «sehr gut» zu Bern, sagt Thomas Lüthi, Vizedirektor von Bern Tourismus. Solange die Forscher sich über den Ursprung des Namens Bern nicht einig seien, werde die Tourismusorganisation die überlieferte Gründungsgeschichte «mit einem Augenzwinkern» weiter vermitteln. «Die Geschichte lässt sich ja auch gut verkaufen», sagt Lüthi.
[i] Berns Mutige Zeit, hg. von Rainer C. Schwinges, darin das Kapitel Stadtgründung. Geneviève Lüscher, «Bern, der Bär und Brenodor» in: «Der kleine Bund», 18. März 2000.
Mittwoch, 23. Juli 2008
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